Kranzniederlegung zum 75. Jahrestag der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg-Görden

Pressemitteilung vom 28.04.2020

SVV-Vorsitzender Walter Paaschen: Wir müssen das Erinnern an das Leiden und Sterben auf den Schlachtfeldern des 2. Weltkriegs sowie in den nationalsozialistischen Zuchthäusern und Konzentrationslagern wach halten.

Zum 75. Jahrstag der Befreiung des ehemaligen Zuchthauses Brandenburg-Görden und zum Erinnern an das Ende des 2. Weltkriegs legten Oberbürgermeister Steffen Scheller, SVV-Vorsitzender Walter Paaschen sowie Vertreter der SVV-Fraktionen und der russischen Botschaft heute Kränze am sowjetischen Ehrenmal am Steintorturm nieder.

Da die Veranstaltung aufgrund der derzeitigen Eindämmungsverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus nur mit einem begrenzten Teilnehmerkreis und zeitlich stark reduziert durchgeführt wurde, haben wir hier die gesamte Rede des Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung für Sie übernommen. Es gilt das gesprochene Wort.

"Meine sehr geehrten Damen und Herren,

der gemeinsame Kampf gegen das Coronavirus bestimmt seit einigen Wochen auch den Alltag in unserer Stadt.

In allen Bereichen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens sind die Auswirkungen der von der Landesregierung beschlossenen und von uns auf kommunaler Ebene umzusetzenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu spüren.

Betroffen davon sind auch öffentliche Veranstaltungen, die derzeit weitestgehend untersagt sind bzw. nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen durchgeführt werden können.

Deshalb haben wir in diesem Jahr zu unserem traditionellen Gedenken aus Anlass des Jahrestages der Befreiung des nationalsozialistischen Zuchthauses Brandenburg-Görden und des Endes des Zweiten Weltkrieges nicht wie gewohnt die Brandenburger Bevölkerung eingeladen, sondern nur diesen sehr begrenzten Teilnehmerkreis.

 

Sehr geehrter Herr Oleg Ksenofonotow,

sehr geehrter Herr Mikhail Korolev,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Kolleginnen und Kollegen Stadtverordnete,

 

vor 75 Jahren tobte ein gnadenloser Kampf um unsere 1.000-jährige Stadt.

Am 24. April 1945 hatten die Brandenburgerinnen und Brandenburger, die schon über viele Monate hinweg in der Nacht – und später auch am Tag – mit Sirenen vor den Luftangriffen der Alliierten gewarnt wurden, einen neuen Signalton kennengelernt.

Um 08:30 Uhr wurde zum ersten Mal „Feindalarm“ ausgelöst.

Truppen der 1. Ukrainischen Front hatten aus Richtung Lehnin kommend die Stadtgrenze erreichten und Einheiten der 1. Weißrussischen Front waren im Norden in Stellung gegangen.

Es dauerte nur eine halbe Stunde und schon erschütterten die ersten Granateinschläge die Neustadt.

Unweit von hier, gingen damals in der St. Annenstraße, Ecke Deutsches Dorf, die ersten Häuser in Flammen auf.

Gegen Mittag begann ein erbarmungsloser Häuserkampf.

Zusammen mit dem massiven Einsatz der legendären „Katjuscha“-Raketenwerfer führte er in den folgenden Tagen nicht nur zu zahlreichen militärischen und zivilen Opfern.

Weil es mutigen Männern um den Pfarrer der reformierten Kirche Oskar Goehling leider nicht gelungen war, den deutschen Kommandanten, den Oberbürgermeister und den NS-Kreisleiter dazu zu bewegen, unsere bereits schwer beschädigte Havelstadt zu schonen und auf eine Verteidigung zu verzichten, wurden nun auch die Teile der altehrwürdigen „Chur- und Hauptstadt der Mark Brandenburg in Schutt und Asche gelegt“, die von den amerikanischen Bomben bisher verschont geblieben waren.

Während der von den deutschen Militärs und der fanatischen NS-Führung propagierte „Kampf um jedes Haus“ in den historischen Innenstadtkernen noch einige Zeit hin und her ging, erreichten derweil am 27. April sowjetische Panzer das am Stadtrand gelegene Zuchthaus Brandenburg-Görden.

Dort wurden sie von jubelnden Gefangenen begrüßt, die sich zuvor bereits selbst befreit hatten.

Die letzten Fallschirmjäger und der Rest des Volkssturms räumten erst am Abend des 30. April die Neustadt und flüchteten gen Westen.

In der Nacht besetzten die Soldaten der Roten Armee dann auch die Altstadt und am Tag danach konnten die Menschen in der Havelstadt schließlich die Keller und Bunker verlassen.

Die Brandenburgerinnen und Brandenburger hatten diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts in den sonnenüberfluteten Morgenstunden des 1. Mai 1945 endlich überstanden.

Letztlich dauerte es bekanntlich noch eine Woche, bis der Zweite Weltkrieg mit der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde offiziell zu Ende ging.

In Brandenburg an der Havel, in unserem Land, in Europa und in anderen Erdteilen leben immer weniger Menschen, die die schreckliche Zeit der NS-Barbarei und des Krieges selbst erlebt haben und davon berichten können.

Wer die Hölle der nationalsozialistischen Zuchthäuser und Konzentrationslager nicht durchlitten hat, der wird niemals nachempfinden können, was die Überlebenden dieses Grauens noch heute im Innersten bewegt.

Wer das Leiden und Sterben auf den Schlachtfeldern des Kriegs nicht miterleben musste, der kann sich nur eine vage Vorstellung von den Albträumen machen, die die Heimkehrer von damals noch heute heimsuchen.

Wer das Glück hatte, seine Heimat nicht zu verlieren, der vermag die noch heute gegenwärtige Trauer von Vertriebenen und Flüchtlingen um das Land ihrer Kindheit und ihrer Vorfahren nicht wirklich zu verstehen.

Die allermeisten der heute lebenden Deutschen und auch der überwiegende Teil der Brandenburgerinnen und Brandenburger sind nach dem Krieg geboren.

Ihnen müssen Bilder und Filme, Augenzeugenberichte, Tagebücher und vor allem die in den Familien wiedergegebenen persönlichen Erinnerungen der älteren Generation die entsetzlichen Folgen des von Hitler entfesselten Kriegs und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vor Augen führen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

vor 75 Jahren hätte niemand in Deutschland zu träumen gewagt, dass wir am Anfang der längsten Friedensperiode in der jüngeren deutschen Geschichte stehen würden und dass unser Land 7 ½ Jahrzehnte später weltweit Ansehen und Sympathie genießen würde.

Seit fast 30 Jahren ist Deutschland in freier Selbstbestimmung und mit der Zustimmung all seiner Nachbarn wiedervereint.

Gerade im Rückblick auf die Erfahrungen der Vergangenheit haben wir allen Grund, dafür dankbar zu sein.

Mit besonderer Dankbarkeit erinnern wir uns in diesen Tagen auch daran, dass ehemalige Kriegsgegner uns die Hand zu Versöhnung und Freundschaft gereicht haben.

Diese Erinnerung führt uns besonders eindringlich vor Augen, dass ein Leben in Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist.

Deshalb ist und bleibt es unsere Pflicht, heute und in Zukunft jeglichen Anfängen von Terror und Gewalt zu wehren – im Kleinen wie im Großen!

Wir müssen wachsam und wehrhaft sein!

Der Gedenktag zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist und bleibt ein Tag der Erinnerung und der Besinnung – der Erinnerung an Krieg, Terror und Gewalt und des Gedenkens an die Toten.

Wir verneigen uns in Trauer vor ihnen.

Wir bleiben ihnen verbunden in der dauerhaften Verpflichtung für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie nunmehr, diejenigen zu ehren und zu würdigen, die ihr Leben für uns gelassen haben."

Interessantes